Vom Lieben zum Sterben
Manche sagen, es macht keinen Unterschied, ob ein Mensch oder ein Tier stirbt. Eine Katze, ein Hund … sie werden genau so schmerzlich vermisst wie ein menschliches Familienmitglied. Darüber lässt sich nicht streiten. Gefühle sind eine sehr individuelle Angelegenheit.
Ich liebe Tiere, so ziemlich alle. Und natürlich besonders die, die bei mir wohnen und mich durchs Leben begleiten. Wenn das Katerchen - das alle für ein Phantom halten müssen, weil es sich niemals nie einem Fremden zeigen würde - sich abends auf meinen Schoß rollt, sich auf den Rücken wirft und sich voller Vertrauen den Bauch kraulen lässt, dann weitet sich mein Herz und ich weiß für einen kurzen Moment, wie sich lupenreines Glück anfühlt. Dieses Katerchen von schwerer Krankheit erlösen zu müssen, öffnet hingegen ein tiefes schwarzes Loch. Ja, ich betrauere ein Familienmitglied.
Und doch ist es anders, als wenn sich ein Mensch verabschiedet. Zwischen meinen Tieren und mir gibt es keine Fragen, die ich schon immer mal stellen wollte, aber mich dann doch nicht traute oder für die ich irgendwie nie den richtigen Zeitpunkt fand. Da gibt es keinen geheimen Groll, keine ungeklärten Konflikte. Im Gegenteil. Reagiert ein Tier mal nicht so, wie man es sich vielleicht gewünscht hätte, vergebe und vergesse ich das sofort, weil … ja weil es nun mal ein Tier ist und es in seiner Natur liegt, das Sofa zu zerkratzen, ins Bett zu kotzen oder vielleicht sogar seinen menschlichen Futterspender mit den ihm gegebenen Waffen in Form von Krallen und Zähnen zu verletzen. Wahrscheinlich suche ich den Fehler sogar bei mir. Was hätte ich anders machen können, damit das jetzt nicht schiefgegangen wäre? Zu meinen Tieren habe ich ein kristallklares Verhältnis. Ich kann ein Tier lieben, einfach weil es ist, wie es ist. Ich stelle keine Ansprüche, erwarte keine Gegenleistung. Und das fühlt sich gut und richtig an.
Zu meinen Mitmenschen bin ich unbarmherziger. Ich verstehe nicht, warum sie mich nicht verstehen. Ich verstehe nicht, warum sie nicht sehen, wann ich eine helfende Hand oder ein ermutigendes Wort brauche. Ich verstehe nicht, warum sie die Welt mit anderen Augen sehen. Ich verstehe nicht, warum sie manchmal ungerecht, lieblos, verletzend sind. Ich verstehe nicht, warum sie sind, wie sie sind. Und nicht so, wie ich sie gerne hätte. Ich verstehe nicht, dass sie so sind, weil … ja, weil sie nun mal Menschen sind. Mit einer ganz individuellen Geschichte, mit ihren eigenen schmerzlichen Erfahrungen und blinden Flecken. Und so öffnet sich beim Abschied nicht nur ein schwarzes Loch aus Trauer, sondern ich sitze auch noch auf einem wackeligen Berg offener Fragen, Verletzungen und nie ausgesprochener Entschuldigungen. Es hört niemand mehr zu, wenn ich in das Loch brülle: „Ich liebe Dich. Trotz allem. Oder gerade wegen allem. Einfach, weil Du warst, wer Du warst.“
Und deshalb glaube ich, es macht einen Unterschied, wer stirbt. Nicht, weil einer mehr wert ist als der andere, sondern weil es viel schwerer ist, Menschen zu lieben. Weil sie sind, wie sie sind.